Initiative „Demokratie von Anfang an“

Unserer Ansicht nach erfahren Kinder und selbst Jugendliche in unserer Gesellschaft nach wie vor viel zu wenig Beteiligung. Vielfach werden sie mit ihren Bedürfnissen und Interessen nicht beachtet, finden kein Gehör oder werden nicht ernst genommen. Demzufolge wird es ihnen häufig nicht ermöglicht, im öffentlichen Raum eine Meinung zu vertreten und die Durchsetzung eigener Belange zu fordern. Wie aber sollen Kinder im späteren Leben an demokratischen Prozessen teilnehmen, wenn die dafür benötigten Kompetenzen nicht vermittelt werden oder sie von klein auf erfahren, dass ihre Meinung nicht zählt?

An der Regenbogenschule Seelze lernen im Durchschnitt 450 Schülerinnen und Schüler sowie 40 Erwachsene miteinander. Dabei kommen abhängig vom aktuellen Schuljahr über die Hälfte der Kinder selbst oder ihre Angehörigen aus bis zu 40 Herkunftsländern, was natürlich eine große Vielfalt an Ethnien, Muttersprachen und Religionszugehörigkeiten, jedoch auch deshalb besondere Herausforderungen das Miteinander betreffend mit sich bringt. Manche Kinder verfügen über eigene Kriegs- oder Fluchterfahrungen und können davon berichten.

Unsere Schule hat es sich durch die Initiative des Schulsozialarbeiters Bekir Bulut auch aufgrund dieser Situation daher seit 2012 unter dem Motto „Demokratie von Anfang an“ mit der regelmäßigen Durchführung von Klassenrat und der Kinderkonferenz (KIKO) zum Ziel gemacht, mit allen Mädchen und Jungen ab dem Schuleintritt Beteiligungsformen zu üben und sie so auf dem Weg zu einem demokratisch selbständig handelnden Menschen zu begleiten sowie Konflikte angemessen zu klären und auszutragen. Auf diese Weise lernen sie, ihre Interessen zu vertreten, Kritik anzubringen und Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen. Darüber hinaus stärkt dies das Selbstvertrauen sowie die Selbstwirksamkeit. Menschen, die sich so erleben können, entwickeln Vertrauen in das eigene Denken und Handeln. Sie können gestärkt ins Leben gehen und sind zusätzlich in der Lage, sich auch für andere einzusetzen. Uns ist wichtig, jedem Kind zu vermitteln, dass es ein wichtiger und gleichwürdiger Teil der Schulgemeinschaft ist, auf den es ankommt und dessen Stimme zählt.

Auf Klassenebene findet daher an unserer Schule in einer Unterrichtsstunde pro Woche, verankert im Fach Sachunterricht der Klassenrat statt, dessen Ziel es ist, Vorhaben und bei Bedarf Konflikte der jeweiligen Gruppe zu thematisieren und gemeinsam Vorschläge zur Umsetzung zu entwickeln. Die Kinder (im ersten Schuljahr anfangs noch mit Unterstützung) leiten diesen Rat selbst und tragen anschließend ihre Anliegen und Ideen ins Schüler/-innenparlament, Kinderkonferenz oder KIKO genannt. Diese findet bei uns im Haus 14-tägig statt.

Die Grundidee der Regionalen Kinderkonferenz auf Stadt- und Regionsebene, auch von Bekir Bulut initiiert und organisiert, ermöglicht den Schülervertreterinnen und -vertretern weiterführend einen überregionalen Austausch über Themen, die vorab von den Schülerparlamenten definiert wurden. Durch die Vernetzung kann eine stärkere Vertretung der kindlichen Interessen im öffentlichen Raum erfolgen. Am 05. Juni 2019 fand die 1. Landesweite Kinderkonferenz im Landtag in Hannover statt.  Bedingt durch die Pandemie konnte anders als zunächst angedacht nach zwei Jahren die 2. Landesweite Kinderkonferenz erst am 31.05.2022 durchgeführt werden.

So wird Demokratie tatsächlich von Anfang an gelehrt, gelernt und gelebt. Unsere Schülerinnen und Schüler entwickeln auf diesem Wege unabhängig von ihrer soziokulturellen Herkunft ein Verständnis für demokratische Prozesse. Sie erfahren in der Praxis, wie demokratisch und konsensorientiert Entscheidungen getroffen werden. Sie lernen, dass sich Partizipation lohnt.

Ein fester Bestandteil des Schullebens ist die Vermittlung der Kinderrechte. So hat sich beispielsweise im Schuljahr 2017/18 die Kunst-AG des 3. Jahrgangs kreativ mit ihnen auseinandergesetzt und große Bilder gestaltet, die das Schulgebäude zieren und auf ausgewählte Artikel hinweisen. Schon in früheren Schuljahren waren die Rechte der Kinder bspw. in unseren Philosophie-Gruppen fest verankert. Hier wurde insbesondere diskutiert und in Nachdenk-Gesprächsrunden erörtert, welche Bedeutung die Kinderrechte mit allen Auswirkungen haben. Eine kreative Auseinandersetzung rundete die Arbeitsphasen meistens ab. Darüber hinaus stellten die Nachdenk-Gespräche einen wichtigen Baustein im gesamten Konzept dar, da auch diese mit ihren festgelegten Regeln automatisch zu einem demokratischen Meinungsaustausch führen, in dem nicht wertend verschiedene Standpunkte nebeneinanderstehen und Akzeptanz erfahren. Durch die Teilnahme an der Übergangsphase zur Einführung von Werte und Normen in Grundschulen bieten wir seit dem Schuljahr 2022/23 diesen Unterricht im Jahrgang 1 und 3 an, in dem das Philosophieren mit Kindern eine zentrale Unterrichtsmethode darstellt.

Im Februar 2020 unterzeichnete die gesamte Schulgemeinschaft eine Erklärung, die in der Größe DIN A0 gerahmt im Flur hängt. Alle, auch die Erwachsenen, verpflichten sich dazu, im Sinne der „Reckahner Reflexionen“ miteinander umzugehen bzw. diese als Richtlinie für das eigene Handeln anzuerkennen.

Durch diese Randbedingungen begünstigt und gefördert, wurde unsere Schule in zwei aufeinanderfolgenden Jahren (für 2018 und 2019) mit dem Schülerfriedenspreis des Niedersächsischen Kultusministeriums ausgezeichnet. In beiden Fällen ging die Initiative, sich für Toleranz und Demokratie gegen Extremismus und Gewalt einzusetzen, von unseren Schülerinnen und Schülern aus und ergab sich ganz natürlich durch Alltagserlebnisse. Durch die Teilnahme am Wettbewerb war es uns möglich die persönlichen Anliegen, uns für Vielfalt und gegen Rassismus einerseits und Glaubensfreiheit andererseits einzusetzen, einer breiteren Öffentlichkeit zu präsentieren und aufzuzeigen, dass Kinder durchaus schon im Grundschulalter eine politische Meinung vertreten und Projekte planen und durchführen können. Im Anschluss an den ersten Schülerfriedenspreis, den wir im Jahr 2019 verliehen bekamen, entstand bei den unmittelbar Beteiligten der Wunsch, thematisch weiter zu arbeiten. So bemühten wir uns um ein Treffen mit den Mitgliedern der Kinderkommission des Deutschen Bundestages, um auch dort auf unsere Anliegen hinzuweisen und in diesem Zusammenhang unserer Forderung, der längst überfälligen Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz, Nachdruck zu verleihen. Am 29. Januar 2020 konnten wir dieses Vorhaben in die Tat umsetzen und sind noch heute bewegt von der Möglichkeit, mit Politikerinnen und Politikern auf Bundesebene ins Gespräch zu kommen. Unser Besuch in Berlin war für die Kinder sowie für die erwachsenen Begleitpersonen ein ganz besonderer Moment.

Im Schuljahr 2021/22 wurden wir von Unicef ins niedersächsische Netzwerk der Schulen für Kinderrechte aufgenommen und arbeiten seitdem an unserer Qualifizierung. Überregional traten wir dem Netzwerk „Schule mit Courage – Schule gegen Rassismus“ bei.

Auswahl einzelner Aktivitäten:

  • Schülerfriedenspreis 2019 Projekt „Du kannst du sein – und ich bin ich (GG Art. 4 Abs. 1).
  • Aktion Weltkindertag (aktuelles Beispiel siehe Homepage unter “Schulleben” vom 20.09.2022)
  • Schüler:innen unterbreiten Planungsbüro Vorschläge für den Umbau der Schule.
  • Auszeichnung zur “Ausgezeichneten Demokratieschule”